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Hilda-Maria Lander / Maria Regina Zohner: Lehrerlebnis Tanz. Meditatives Tanzen in Gruppen, Matthias-Grünewald-Verlag Mainz 1997, 120 Seiten, DM 36,--.

Wie gerät ein Buch über Meditatives Tanzen in eine Verlagsreihe namens „Psycho-logie und Pädagogik"? Wird doch das Meditative Tanzen in den meisten Kreisen spirituell verstanden. Diese Frage ist bei den beiden bekannten Autorinnen, um deren jüngstes Werk es hier geht, leicht zu beantworten und kann auch nicht mehr überraschen: Schon immer haben Hilda-Maria Lander und Maria Regina Zohner aus ihrer Nähe zur sozialpädagogischen Gruppenarbeit und ihrem Einsatz des Meditativen Tanzens darin keinen Hehl gemacht. In ihrem Hauptwerk zum Meditativen Tanzen (Stuttgart 1987) schrieben sie: „Meditatives Tanzen und Symbole sind nicht zwangsläufig mit Religion verknüpft ..." (95) und ließen es ausdrücklich offen, diese Tanzweise spirituell zu interpretieren oder nicht. Meditatives Tanzen kann hier als eine Methodik verstanden werden, als eine Zugangsweise zu sich selbst und zu den eigenen Gefühlen. Gegen eine schnelle Spiritualisierung und Sakralisierung, wie sie von anderen intensiv betrieben wird, ist eine solche Akzentuierung ganz wichtig.
Im vorliegenden Buch gehen die aus der Sozialpädagogik kommenden Autorinnen (Hilda-Maria Lander war bis zu ihrer Pensionierung Professorin für Sozialpädagogik, Maria Regina Zohner ist Dipl.-Sozialpädagogin) nun noch einen Aspekt in der pädagogischen Perspektive weiter: Ihr Thema ist das „Lehrerlebnis Tanz", die Rolle der Lehrenden in der Weitergabe von meditativen Tänzen also. Zweifellos ist das eine ausgesprochen verdienstvolle Themenwahl, wird doch damit ein zuvor fast gänzlich unbearbeitetes Problem angegangen, das jedoch alle im Meditativen Tanzen Engagierte – lehrend wie lernend – betrifft. In den inzwischen sattsam verbreiteten zwei- bis dreijäh-rigen Fortbildungen des sakralen Tanzens liegt der Schwerpunkt sicher nicht auf pädagogischen oder gruppendynamischen Aspekten – obwohl man sich nach Absolvierung der Kurse in der Regel als „Sacred-Dance-LehrerIn" bezeichnet. Vielmehr lernt man bei den meisten Anbieterinnen und Anbietern vor allem konkrete Tänze und ihre Deutungen (vgl. Kreiseziehen Ausgabe 2/97). Selbst da, wo einmal auch didaktische Schwierigkeiten focussiert werden, läßt sich kein Augenmerk in bezug auf die von der Anleiterin ausgelöste Gruppendynamik feststellen. Im Gegensatz dazu spielt diese Dynamik in den allermeisten Tanzgruppen eine erhebliche Rolle. Ein nicht zu übersehendes Phänomen, das gelegentlich von Beteiligten (z.B. in Kreiseziehen) selbst thematisiert wird, ist ein konkurrierendes Gebaren zwischen den Anleiterinnen bzw. zur Kursleiterin und auch alle Variationen von Wertschätzung derselben (Verehrung bis heftige Ablehnung). Die Lust zu leiten und zu lehren, die Lust, Autorität in Sachen sakralem Tanz und Ritualen zu sein, aber auch der Hang zur Bewunderung, zum Sich-Anlehnen bei einer der bekannten „Lehrerinnen" sind ganz ausgeprägte Erscheinungen in der Szene des Meditativen Tanzens. Um so wichtiger wäre es, sie bewußt zu machen und in bezug auf das eigene Leitungs- und Unterordnungsverhalten zu reflektieren. Insofern wäre ein Buch, das sich dieser Reflexion aus pädagogischer und gruppendynamischer Perspektive heraus widmen würden, die Beendigung eines wesentlichen Versäumnisses und von kaum zu überschätzender Bedeutung.
Leider jedoch reflektiert das neue Buch von Hilda-Maria Lander und Maria Regina Zohner die konkrete Wirklichkeit des Meditativen Tanzens überwiegend nicht. Es geht nicht von den überall anzutreffenden Gruppen des Meditativen Tanzens aus, nicht von den Fortbildungen, nicht von konkreten Schwierigkeiten vieler Anleitenden, deren Gruppen quantitativ ums Überleben oder hart mit Spannungen kämpfen, es verzichtet auf jegliche Analyse des empirisch doch leicht Faßbaren, es bleibt dem Alltag der Gruppen des Meditativen Tanzens erstaunlich fremd. Indem es stattdessen theoretisch die grundsätzlichen Bedingtheiten von Gruppen und Leitungen referiert, erscheint dies Buch eher wie ein Lehrbuch für Studierende der Sozialpädagogik (mit dem Schwerpunkt Tanz) als erfahrungsgenährt in der Wirklichkeit des Meditativen Tanzens. In der Tat fühlte ich mich bei der Lektüre der meisten Seiten weitaus mehr an meine ersten Semester des Sozialpädagogik-Studiums im Fach Didaktik/Methodik erinnert als an meine Erfahrungen im Meditativen Tanzen.
Denn eben wie auch in den Anfangsgründen des Sozialpädagogik-Studiums wird hier bei Hilda-Maria Lander und Maria Regina Zohner noch einmal die Themenzentrierte Interaktion (TZI) nach Ruth Cohn rekapituliert, werden seitenlang die Unterscheidungsmerkmale von Klein- und Großgruppen und ihre Vor- und Nachteile aufgelistet, zwischen Leitungsstilen fein säuberlich unterschieden, die Bedeutung der Autorität (Personen- bzw. Sachautorität) dargestellt, Gruppenphasen lehrbuchmäßig mitgeteilt, vier Seiten lang die Vor- und Nachteile eines geschlossenen und einen offenen Kreises, eines Doppelkreises, einer Schlangenform, einer Linie bzw. Gasse und einer Solo-Orientierung dargelegt, und so weiter, und so fort: In dem neuen Buch von Hilda-Maria Lander und Maria Regina Zohner begegnet uns kapitelweise einführende, anspruchslose Sozialpädagogik nach Lehrbuchart bzw. sogar nur deren Rezeption mit gelegentlichen Verweisen auf das Medium Tanz. Dies stellt kurz gesagt die Hauptmaterie des Buches dar. 
Neben der so starken allgemein sozialpädagogischen Ausrichtung macht es das Buch, das wohl ganz überwiegend aus der Feder einer der beiden Autorinnen stammt, so wenig aufregend, daß seine Darlegungsweise meistens nach dem Duktus: „Es kann so sein, es kann aber auch ganz anders sein" verläuft. Indem stets gesagt wird, was alles sein kann, ist alles, aber im Grunde nichts richtig gesagt. Vergeblich sucht man die Passagen, die einmal nicht alles nebeneinanderstellen, sondern die diskutieren, Position beziehen und auch einmal etwas aussortieren. Denn es kann ja nicht alles immer gleich brauchbar oder wahrscheinlich sein. Als exemplarisch für meine Zweifel, ob dieses Buch besonders hilfreich sein wird, könnte ich die Darlegung der Gruppenphasen nennen, die kaum schulbuchmäßiger ausfallen könnte. Da liest und lernt man unter dem Abschnitt der „Machtkampfphase" nach einer kurzen Nennung möglicher Probleme abschließend (!) solche  Weisheiten wie: „Die Gruppe muß lernen, Konflikte zu lösen." Und: „... möglicherweise muß die Gruppenleitung Blitzableiter für viele Gefühle sein oder wird gar in die Rolle des Sündenbocks gedrängt. Die Gruppenleitung wird besonders die Schutzrolle und Unterstützung übernehmen, ebenso die Rolle der Vermittlerin." (34) Wenn das in der Realität in dem Maße einfach wäre, wie das hier banal gesagt wird! Mit keinem Wort werden Verletzungen, Scheitern und Mißerfolge erwähnt, auch nicht Lösungsversuche usw. diskutiert. Die Autorinnen haben als Hilfe nur eine titelmäßige Auflistung von Material aus „Lander/Zohner-
Büchern" (die man dann tunlichst zur Hand haben sollte) zu bieten.
Wenn man zuvor pädagogisch nicht restlos unbedarft war, sucht man in diesem Buch mühsam nach Passagen, die etwas Neues erzählen. Die Lektüre in ihrer Mühsal wird erheblich dadurch verstärkt, daß der Schreibstil vor allem einer der beiden Autorinnen ausgesprochen spröde und ungelenk wirkt und flüssig geschriebene Sätze zur Ausnahme macht; teilweise erinnert der Text an ein Skript. Überdies lassen die wirklich kaum glaubliche Zahl der im Buch enthaltenen Fehler in der Zeichensetzung, der Groß- und Kleinschreibung und im Ausdruck sowie die mangelhafte Syntax ernsthaft annehmen, im Verlag habe das Lektorat keine Zeit für das Manuskript gehabt (und nicht die Ausdauer, eine bessere Vorlage einzufordern).
Hilda-Maria Lander und Maria Regina Zohner geben für ihr neues Buch als Zielgruppe an: „Für Menschen, die Bewegung, Tanz, Gebärden, Bilder, Lebensthemen weitergeben wollen, die Tanzerfahrung haben, jedoch keine professionelle Tanzausbildung, die mit Gruppen arbeiten, jedoch keine Grund-Ausbildung zur Gruppenleitung haben." (7) Das ist bescheiden angesetzt und ein Anspruch, dem gerecht zu werden leicht zu sein scheint. Allerdings verlangt im Gegenteil gerade eine Einführung für Unerfahrene den Autorinnen sehr anspruchsvoll Klarheit und Konzentration, Problemerörterungen und Lösungsanregungen ab. Dies ist in diesem Buch eindeutig nicht gelungen. Selbstredend, daß alle weitergehenden Hoffnungen auf eine solide pädagogische und psychologische Durcharbeitung der Vermittlung des Meditativen Tanzens vergebens waren.

Gereon Vogler
 
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