Joseph Ratzinger:
Der Geist der Liturgie. Eine Einführung, Freiburg / Basel /
Wien 2000.
Bemerkenswert die Seiten
159-177 mit den Kapiteln Ñ3. Haltungen" und Ñ4. Gebärden",
darin die Seiten 170-172 zum Tanz:
ÑDer Tanz ist keine
Ausdrucksform christlicher Liturgie. Gnostisch-doketische Kreise
haben ihn etwa im 3. Jahrhundert in die Liturgie einzuführen
versucht. Für sie war die Kreuzigung nur Schein: Christus hatte
den von ihm nie wirklich angenommenen Leib vor der Passion verlassen,
und so konnte an die Stelle der Kreuzesliturgie der Tanz treten,
weil ja das Kreuz nur Schein gewesen war. Die kultischen Tänze
der verschiedenen Religionen haben unterschiedliche Richtungen ñ
Beschwörungen, Analogiezauber, mystische Ekstase ñ; keine dieser
Gestalten entspricht der inneren Richtung der Liturgie des ëworthaften
Opfersí. Vollkommen widersinnig ist es, wenn bei dem Versuch, die
Liturgie ëattraktiví zu gestalten, Tanzpantomimen ñ womöglich
von professionellen Tanzgruppen ñ eingelegt werden, die dann häufig
(von ihrer Anlage her zu Recht) in Beifall münden. Wo immer
Beifall für menschliches Machen in der Liturgie aufbricht,
ist dies ein sicheres Zeichen, daß man das Wesen der Liturgie
gänzlich verloren und sie durch eine Art religiös gemeinter
Unterhaltung ersetzt hat. Solche Attraktivität hält nicht
lange; auf dem Markt der Freizeitangebote, der zusehens Formen des
Religiösen als Kitzel einbezieht, ist die Konkurrenz nicht
zu bestehen. Ich habe erlebt, wie man den Bußakt durch eine
Tanzdarstellung ersetzte, die selbstverständlich großen
Beifall fand; könnte man sich von dem, was Buße wirklich
ist, weiter entfernen? Liturgie kann nur dann Mmenschen anziehen,
wenn sie nicht auf sich selber schaut, sondern auf Gott; wenn sie
ihn eintreten und handeln läßt. Dann geschieht das wirklich
Einzigartige, außer Konkurrenz, und die Menschen spüren,
daß sich hier mehr ereignet als Freizeitgestaltung.
Kein christlicher Ritus
kennt den Tanz. Was man in der äthiopischen Liturgie oder in
der zaïresischen Form der römischen Liturgie so nennt,
ist rhythmisch geordnetes Schreiten, das der Würde des Vorgangs
gemäß ist, die verschiedenen Wege in der Liturgie innerlich
in Zucht nimmt und ordnet, ihnen so Schönheit und vor allem:
Gott-Würdigkeit gibt. Noch einmal anders stellt sich die Frage,
wenn es nicht um Liturgie, sondern um Volksfrömmigkeit geht.
Hier sind nicht selten alte religiöse Ausdrucksformen, die
sich der Liturgie als solcher nicht einfügen ließen,
in die Welt des Glaubens integriert worden .... In Europa kennen
wir als bekanntestes Beispiel die Echternacher Springprozession.
Im Norden Chiles konnte ich einmal in einem kleinen Heiligtum mitten
in der Wüste einer Marienandacht beiwohnen, auf die dann im
Freien ein Tanz zu Ehren der Madonna folgte, dessen Masken mir eher
furchterregend erschienen. Sicher lagen hier uralte vorkolumbianische
Überlieferungen zugrunde. Was einmal von einem schreckenerrregenden
Ernst angesichts der Macht der Götter geprägt gewesen
sein mochte, war nun befreit, war Huldigung an die demütige
Frau geworden, die Mutter Gottes heißen darf und Grund unserer
Zuversicht ist. Noch einmal etwas anderes ist es, wenn nach der
Liturgie die dort gesammelte Freude zum ëweltlichení Fest wird,
das sich im gemeinsamen Mahl und Tanz ausdrückt und dabei doch
den Grund der Freude nicht aus dem Auge verliert, der ihr auch Richtung
und Maß gibt. Diese Verbindung von Liturgie und heiterer Weltlichkeit
(ëKirche und Wirtshausí) hat immer als typisch katholisch gegolten
und ist es auch." |